I am Sailing
- angelika
- Jul 16, 2021
- 5 min read
Updated: Jul 17, 2021
Also das Wichtigste zuerst: Unser Skipper Hrvoje hat nicht nur nicht gekündigt wegen der vegetarischen Küche, sondern im Gegenteil gestern geschrieben, dass er mein Essen vermisst. So geht das.
Und ansonsten, puh, ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht am besten am Ende. Weltumseglerin werde ich bestimmt keine (obwohl uns das am Anfang vorgeschwebt ist, irgendwann, echt jetzt), nicht einmal eine Atlantiküberquererin, dafür ist mir das Ganze zu wellig, aber alles andere werde oder bin ich schon. Segeln ist einfach grossartig!!! Es hat einen besonderen Zauber und wir sind voll verhext. Wir überlegen uns, noch eine Woche dranzuhängen, aber leider können wir kein Boot finden, zumindest nicht zu einem annehmbaren Preis (Hochsaison).
Die ersten vier Tage waren wir ja mit Skipper unterwegs. Manchmal dachte er wohl, er träumt. Leider bezieht sich diese Aussage nicht aufs Essen, sondern auf unsere Fähigkeiten. Zum Beispiel gleich zur Begrüssung, als wir gesagt haben, dass wir ihm die Koje hinten zugedacht haben. Ihr meint vorne? Äh ja, genau, vorne. Die Koje lag tatsächlich im Bug, also vorne, aber wenn man aufs Boot kommt, ist es halt hinten, zumindest für Laien. Oder als Heinz meinte, dass das Wichtigste für uns sei, das Parkieren zu üben. Parking??? Es heisst docking, maneuvering, whatever, einfach NIE Parking. Mit der Zeit meinte er einfach, ihr fragt mich das tatsächlich? Erstaunlich. Das ist die Kurzfassung. Ihm kam es glaub länger vor. Zu unserer Verteidigung: Das Segelboot, auf dem wir gelernt haben, hatte ein Holzruder in der Mitte und glaub vier Seile. Auf unserem Rio hat es gefühlte 100 Seile, zwei Steuerräder aus Carbon, GPS-System, ein Panel mit 100 Knöpfen, Autopilot, eine Plattform zum runterlassen zum Baden, ein Beiboot mit Motor, Thruster, etc. Von vielen Dingen wussten wir gar nicht, dass die überhaupt existieren. Mit einem Satz: Wir waren etwas überfordert. Dass das Boot auch noch vier Meter länger war (12m), hat nicht unbedingt geholfen.

Ausserdem ist Segeln sehr körperlich. Nicht nur Technik ist gefordert, sondern auch Kraft. Wenn dann der Ehemann beim Hissen des Hauptsegels meint, du musst einfach noch etwas mehr ziehen, dann merkt man zudem, dass es auch noch ein ordentlicher Teamsport ist (wir haben das Hissen der Segel und das Boot im Wind halten nun getauscht, das ist kräftetechnisch passender). Man ist auch viel auf den Knien, stösst sich die Zehen und den Kopf, versucht verzweifelt, irgendwie die Hosen wieder hochzuziehen nach Toilette, ohne sich blaue Flecken zu holen und lernt, dass Kochen während dem Segeln eher suboptimal ist. Das macht man besser davor oder danach. Wenn ich es mir recht überlege, macht man eigentlich alles besser davor oder danach.
Handschuhe sind wohl eine gute Idee (unsere Bürogummi-Hände schauen nun etwas weniger büromässig aus). Es ist also teilweise ein raues Geschäft, aber es ist einfach grossartig und alle Verletzungen wert. Und auch alle Tiefschläge.
Grösster Tiefschlag war der erste Tag ohne Skipper. Voller Stolz und siegessicher sind wir rausgesegelt Richtung Hvar und ja, wir geben es zu, wir haben sogar „I am Sailing“ von Rod Stewart schmettern lassen. Dann waren wir draussen und dann kamen der Wind und die Wellen wie noch nie seit wir üben, und wir haben gecheckt, dass wir nicht wirklich wissen, wie man die Segel refft (kleiner macht). Um ein YouTube Video zu gucken fehlte uns die Zeit und so versuchten wir, die Segel ganz einzuholen. All das hatten wir noch nie ganz alleine gemacht und so hab ich das Seil für das vordere Segel nicht kontrolliert gehalten, während Heinz am Bug vorne das Segel einrollte. Das Ergebnis sah eher nach einer Frühlingsrolle als nach nautischen Fähigkeiten aus. Alle hatten gesagt, dass der Wind okay sei an diesem Tag, auch die App „Windy“, aber er war es nicht. Man muss einfach immer auf alles gefasst sein. Als wir endlich am Bestimmungsort angekommen sind, hatte es keine freie Boje. Ich war kurz vor dem Heulen und wollte sagen, lass uns einfach wieder zurücksegeln zum Hafen, den wir kennen (Marina Kastela). Natürlich hätten wir auch ankern können, aber ankern ist nicht so eine sichere Sache, wie man meinen würde. Deshalb sind die Bojen so begehrt. Die sind betoniert. Ich dachte, wenn wir diese Nacht nicht unbesorgt schlafen können, dann flipp ich aus. Aber wir brauchten eine Pause. Also haben wir doch geankert und o Wunder, nach 15 Minuten wurde eine Boje in der Bucht frei und wir hatten unseren sicheren Schlafplatz. Die Erleichterung war wie ein Rausch, aber die Flasche Prosecco zur aufgewärmten Pasta haben wir trotzdem innert fünf Minuten geleert. Die Vorher-Nachher-Fotos (Beginn Segeltörn und Ende) sprechen Bände. Innert weniger Stunden um Jahre gealtert. Danach haben wir uns ins Meer gestürzt und irgendwann war das Nervensystem wieder funktionsfähig, aber mit dem Beiboot in die Stadt konnte ich nicht mehr. Ich lief auf Notstrom und war mit auf dem Boot rumhängen schon voll bedient. So haben wir also leider keine Ahnung, wie Starigrad aussieht. Es muss wunderschön sein, aber es muss warten.
Nach einer ruhigen Nacht ging es dann zurück nach Split, wo mit dem Betanken des Bootes und dem Docking die nächsten Herausforderungen warteten. Also das Docken im Hafen ist glaub tatsächlich das Schwierigste am Segeln. Das Anstehen in einer Warteschlange beim Tanken mit drei riesigen Luxusyachten daneben ist aber auch nicht ohne. Als die Tankwartin uns dann hetzen wollte, habe ich rübergebrüllt, dass wir das zum ersten Mal machen und um Geduld bitten. Danach ging’s. Heinz hat das Boot auch noch super parkiert, äh, sorry, angedockt in der Marina Split und ich habe tatsächlich davor das Ding am Radio durchgegeben:„Marina Split, Marina Split, Marina Split, This is Vessel Rio, Rio, Rio from Sunlife Charter. Can we come in?“. Dann kam etwas Kroatisches. Dann habe ich gesagt „Äh. Sorry, Do you speak englisch?“. Und nach nochmals Hin und Her kam endlich „Yes, Lady, you can come in“. Puh. Vollkommen aberwitzig, das Ganze, aber witzig. Und die Pasta danach hat wieder geschmeckt wie noch nie und wir wundern uns, dass CNN nicht über uns berichtet, wo wir uns doch fühlen wie Superhelden. Ende gut, alles gut. Hrvoje hatte wohl recht, als er uns anschaute und bedeutungsschwer meinte „God protects the Fools“.
Und nun geniessen wir das Rumhängen auf dem Boot in der Marina Split, essen Chips, trinken einen kühlen Rosé und schauen den anderen Seglern zu, die auch sehr unterschiedlich routiniert sind. Gegenüber spielt eine Familie ein Brettspiel, einen Pier weiter hat es eine Partymeute, es ist schön warm und es kommen immer noch mehr Boote an. Nachher werden wir unseren neuen norwegischen Freunden schreiben, dass wir gut angekommen sind. Und wir üben weiter mit dem Knoten-Lernkit, das sie uns geschenkt haben am Mittwochabend (Grunnkurs i Knoper). Sorry an die anderen Hafengäste am Mittwoch, dass wir so laut waren mit den alten Wikingern, aber es war einfach zu lustig (Aquavit macht fit). Ausserdem recht prominent, wenn man bedenkt, dass das eine Paar das Elternpaar von einem Europa- und Weltmeister im Segeln war.
Es sind überhaupt alle so nett. Diese Gewässersache ist ein eigener Mikrokosmos, in dem es uns wahnsinnig gut gefällt. Und wir wissen noch nicht, wo wir morgen sein werden, ob wir nochmals ein Boot ergattern oder ob es in eine normale Unterkunft geht. Und noch als abschliessende Bemerkung: Segeln ist wie Camping, nur auf dem Wasser. Und wer sich nun angesprochen fühlt, dem sagen wir: „Just go for it!“.
Und wer das macht, sollte unbedingt die App „Navionics“ erwerben. Die ist Spitze. Und sie klingt wie ein Charakter aus Asterix und Obelix, was sie zusätzlich sympathisch macht (vorausgesetzt, man mag Asterix und Obelix).
PS: Und ja, die Lizenz aus Kotor ist eingetroffen.
PPS: Das YouTube Video übers Reffen haben wir dann angeschaut, als wir die Boje hatten.
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